DIE BRUNNENFIGUR
IN EISENBERG
Dr. Gero Fedtke
Im September 1842 wurde in der Stadt Eisenberg der Marktplatz neu gestaltet. Es entstand „ein schöner freier Platz, welcher der Stadt zur größten Zierde gereicht.“
Mitten auf diesem Platz steht bis heute, wie es das Eisenbergische Nachrichtenblatt seinerzeit berichtete, „der schöne Brunnen mit seinem alten Mohr“, das 1727 in der Nähe auf dem Petersplatz aufgestellte und im Zuge der Neugestaltung versetzte „Wahrzeichen der Stadt Eisenberg.“[1]
Die Brunnenfigur stellt einen Schwarzen Mann dar. Er trägt Goldschmuck, eine Federkrone und einen Federrock, außerdem einen Köcher mit Pfeilen. Der zugehörige Bogen ist jedoch nicht zu sehen. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen Wappenschild, mit der rechten hält er ein vergoldetes Tritonshorn an seine Lippen, durch das ursprünglich eine Wasserfontäne in den Himmel schoss. Schöpfer der Figur war „der hiesige äußerst geschickte Bildhauer [Johann] Schellenberg“ [2], über den weiter jedoch nichts bekannt ist.
Dieses Erscheinungsbild der Figur wirkt auf heutige Betrachter:innen widersprüchlich: wir sehen einerseits einen schönen, kraftvollen Menschen; der Anklang an antike Statuen ist unübersehbar. Andererseits irritieren [die Abwesenheit von] Kleidung und der Schmuck. Die Figur darum „exotisch“ zu nennen, erklärt sie nicht. Warum steht eine solche Brunnenfigur in Eisenberg? Um diese Frage zu beantworten, müssen drei Kontexte berücksichtigt werden:
1) das Stadtwappen von Eisenberg,
2) die repräsentativen Brunnen des Barock,
3) die kolonial geprägte europäische Aneignung der Welt seit dem 15. Jahrhundert.
Das Eisenberger Wappen zeigt im Wappenschild eine Mauer mit Tor, Zinnen und Türmen. Eine solche Darstellung einer Stadtmauer als Zeichen des Stadtrechts ist gängig und für Eisenberg seit dem 13. Jahrhundert belegt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kamen Helm, Helmdecke und als Helmzier der Kopf eines Schwarzen Mannes hinzu. Dieser Kopf ist das dominierende Element im Wappen, nach dem sich die Bezeichnung „Mohrenwappen“ eingebürgert hat.[3] Die Brunnenfigur wird mit der Wappenfigur identifiziert – dies ist dermaßen selbstverständlich, dass es nirgends explizit erwähnt werden muss. „Über die geschichtliche Bedeutung […]“ allerdings, so schrieb bereits das Nachrichtenblatt 1842, „ist man nicht ganz im Klaren.“
Erst seit den 1870er Jahren ist die heute verbreitete „Mohrensage“ dokumentiert,[4] die der Figur einen mythischen Ursprung aus der Zeit der Kreuzzüge zuschreibt. Die Wappenfigur geht jedoch sehr wahrscheinlich auf den heiligen Mauritius zurück, der nach dem Rücktritt des letzten katholischen Erzbischofs von Magdeburg von vielen Städten in der Region als nunmehr säkulares Hoheitszeichen übernommen wurde.
Bei seiner erstmaligen Errichtung zierte das Standbild einen mit einer Pferdeschwemme – einem Teich zum Tränken und Säubern von Pferden – kombinierten Brunnen. Solche Anlagen entstanden in Residenzen und Städten in ganz Europa. Sie hatten repräsentative und praktische Funktionen: Fürsten wie Ratsherren demonstrierten Macht und Reichtum sowie mit der Wasserversorgung auch ihre Fürsorge für die Bevölkerung.[5]
Vorläufer
Zu den Vorläufern der Eisenberger Brunnenfigur gehören die in Renaissance und Barock weit verbreiteten sogenannten Tritonenbrunnen mit Darstellungen der griechischen Gottheit Triton. Das Schneckenhorn (Tritonshorn) ist eines seiner Attribute. Es findet sich im Eisenberger Brunnen.
Eisenberg war eine Residenzstadt; und wie andere Brunnen war auch der Eisenberger ein Springbrunnen. Das teure, technisch anspruchsvolle Pump- und Leitungswerk war prestigeträchtig, beschäftigte mit seinem kostenintensiven Wartungs- und Reparaturbedarf den Rat der Stadt aber wiederholt. Barocke Brunnenfiguren stellen oft muskulöse, an antiken Statuen orientierte Götter dar. Das Tritonshorn des Eisenberger Brunnens, aus dem ursprünglich die Wasserfontäne in den Himmel schoss, gehört in diese Bildsprache, ebenso die kraftstrotzende Figur.
Brunnenfiguren
In der Darstellung eines Schwarzen unterscheidet sich das Eisenberger Standbild von diesen Vorbildern, gleicht allerdings anderen, nur wenig älteren: in Städten, die einen „Mohren“ im Wappen führen, finden sich sehr ähnliche Brunnenfiguren, so in Freising (1700) und Coburg (ca. 1680).
Alle diese Brunnen variieren eine im 18. Jahrhundert gängige allegorische Darstellung Amerikas. Dessen indigene Bevölkerung wurde in Europa als mit Federn spärlich bekleidete „Wilde“ dargestellt, die angeblich Kannibalismus praktizierten.
Diese Darstellung war von dem überaus populären Reisebericht Amerigo Vespuccis geprägt, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts in vielen Sprachen erschienen war. Im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte setzten sich Allegorien der nunmehr vier Kontinente Europa, Asien, Afrika und Amerika durch, die zum „Standardprogramm“ europäischer Residenzen gehörten. Wesentliche Attribute der Allegorie Amerikas waren – Vespucci folgend – Federschmuck, Pfeil und Bogen sowie ein Krokodil oder Gürteltier.[6]
Das volck und insul die gefunden ist durch den cristenlichen künig zu Portigal oder von seinen underthonen“, Holzschnitt, Nürnberg, um 1505, München: Bayerische Staatsbibliothek. Repro übernommen aus: Kohl S. 32.
In den Brunnen von Freising, Coburg und Eisenberg verschmilzt die Amerika-Darstellung mit der des Schwarzen Mannes aus dem Stadtwappen – nunmehr ohne Krokodil. Diese Verschmelzung hat zwei Quellen: zum einen eine christliche, die wie der Mauritiusbezug des Eisenberger Wappens in Vergessenheit geriet. Im mittelalterlichen christlichen Weltbild symbolisierten die Heiligen Drei Könige die drei bekannten Kontinente; darunter Balthasar als Schwarzer Afrika.
Meister von Viseu: Die Anbetung der Heiligen drei Könige, Öl auf Holz, um 1505, Viseu, Museo de Grão Vasco, Kohl S. 32.
Darstellungen aus dem frühen 16. Jahrhundert bemühten sich um eine Integration Amerikas in dieses Schema. So findet sich auch ein Schwarzer Balthasar mit Federkrone, der die Verknüpfung der Attribute vorwegnimmt.[7] Zum anderen brachte der bereits im frühen 16. Jahrhundert einsetzende Atlantikhandel Millionen von Schwarzen Menschen als Sklaven nach Amerika. Damit wurden aus europäischer Perspektive Schwarze Menschen und Amerika eng miteinander verknüpft, und dies in beiden Richtungen. Die Auffassung von der indigenen Bevölkerung Amerikas als „rückständig“ und „wild“, die koloniale Ausbeutung und Beherrschung rechtfertigte, wurde nun auch auf die Schwarze Bevölkerung Afrikas übertragen und verdrängte ambivalentere, von der Antike ins christliche Mittelalter tradierte Vorstellungen. Auch der Begriff des „Exotischen“ gehört in diesen Kontext, stand er doch sowohl für die europäische Faszination am neu entdeckten Fremden samt seiner Aneignung wie auch für die Abwertung außereuropäischer Menschen als unzivilisiert, gleich ob sie nun als „edle Wilde“ oder „kannibalistische Barbaren“ galten.[8]
Mit der Aufstellung der Brunnenfigur 1727 interpretierte Eisenberg sein Stadtwappen neu und der Epoche angepasst. Es deklarierte ikonographisch seine Zugehörigkeit zu einem aufstrebenden Europa, das sich anschickte die Welt zu beherrschen. Der Brunnen mit der Figur repräsentierte Prestige, Fürsorge und Weltläufigkeit. Die Zeitgenoss:innen verstanden diese Bildsprache. Jedoch gerieten die Allegorien der Kontinente am Ende des 18. Jahrhunderts außer Gebrauch; bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts wusste man daher weder die Brunnenfigur noch die Herkunft des Wappens in Eisenberg zu deuten. Dies scheint auch heute zu gelten. Um den historischen Kontext sichtbar zu machen, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei.
Der Autor, Dr. Gero Fedtke, ist Leiter der Gedenkstätte für die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge (Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt).
2017 wurde er mit seiner Dissertation „Roter Orient. Muslimkommunisten und Bolschewiki in Turkestan (1917-1924), Böhlau: Köln, Weimar, Wien 2020 (= Peripherien: Beiträge zur Europäischen und Gobalgeschichte, Bd. 5)“ bei Prof. Jörg Ganzenmüller promoviert.
Von 2013 – 2019 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar und Koordinator der internationalen Wanderausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“. Im Anschluss war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Europäischen Diktaturenvergleich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig.
[1] An den Mohr von Eisenberg, als ich ihn am 7. September d. J. bei seiner Wiederaufstellung bekränzen sah. In: Eisenbergisches Nachrichtenblatt 22 (20.09.1842).
[2] Back, August Leberecht: Chronik der Stadt und des Amtes Eisenberg. von den frühesten Zeiten an bis zum Jahre 1843. Eisenberg 1843, S. 219.
[3] Den Begriff “Mohr” benutze ich als Quellenbegriff. Zu seiner komplexen Geschichte siehe Hinrichsen, Malte und Hund, Wulf. D.: Metamorphosen des .Mohren‘. Rassistische Sprache und historischer Wandel. In: Gudrun Hentges, Kristina Nottbohm, Mechtild M. Jansen und Jamila Adamou (Hrsg.): Sprache – Macht – Rassismus. Berlin 2014, S. 69–96.
Abbildung des Wappens: Von http://www.ngw.nl/int/dld/e/eisenberg.htm, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1285090
[4] Greß, Kurt: Holzlandsagen. Sagen, Märchen und Geschichten aus den Vorbergen des Thüringer Waldes. Leipzig 1870, S. 3-8. Diese Sage, ihre Vorläufer und Varianten können hier nicht näher betrachtet werden.
[5] Kratzsch, Klaus: Mohrenbrunnen und Dornhof, ein monumentaler Platz und seine Mitte. In: Friedrich Fahr (Hrsg.): Der Mohr kann gehen. „der Mohr von Freising“ ; [anläßlich der Ausstellung Der Mohr kann gehen im Diözesanmuseum Freising, 23. November 2002 bis 2. März 2003. Lindenberg i. Allgäu 2002, S. 37–45, hier S. 39-40.
[6] Kohl, Karl-Heinz: Allegorien der drei Erdteile und die Entdeckung Amerikas. In: Berichte und Abhandlungen / Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2008), S. 25–49.
[7] Kohl, Karl-Heinz: Allegorien der drei Erdteile und die Entdeckung Amerikas. In: Berichte und Abhandlungen / Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2008), S. 25–49, hier S. 31-32.
[8] Sund, Judy: Exotic. A Fetish for the Foreign, London (Phaidon Press) 2019. Das Vorwort ist online abrufbar unter: https://www.gdcinteriors.com/exotic/