Zum Inhalt springen
Startseite » 5 FRAGEN AN… DR. ULRIKE LÖTZSCH

5 FRAGEN AN… DR. ULRIKE LÖTZSCH

    Dr. Ulrike Lötzsch

    Anatomische Sammlung, FSU Jena

    Foto: Jens Meyer/Universtät Jena

    1 | Frau Dr. Lötzsch, Sie arbeiten – zumindest für die meisten von uns – an einem eher ungewöhnlichen Ort. Würden Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit am Institut für Anatomie in Jena geben?

    Gerne. Ich habe vor knapp 2,5 Jahren hier in der Anatomie angefangen. Meine Aufgabe bestand damals darin, zusammen mit dem Kustos der Sammlung, Prof. Redies, eine neue – und vor allem öffentliche – Dauerausstellung einzurichten. Denn die Lehr- und Forschungssammlung der Jenaer Anatomie war bislang nur dem Fachpublikum zugänglich und nur in ganz wenigen Ausnahmefällen für die Öffentlichkeit geöffnet. Die neue Ausstellung konnte Ende Mai 2022 eröffnet werden und findet seitdem großen Anklang.

    Die Besonderheit bei der Überarbeitung der bisherigen Ausstellung hängt mit den Exponaten in einem anatomischen Institut zusammen, denn wir haben es hier ja nicht nur mit anatomischen Modellen, sondern vor allem mit verschiedenen Human remains zu tun. Das können zum Beispiel ganze Skelette sein, plastinierte Körperteile oder auch sogenannte Nasspräparate. Dabei gibt es bestimmte ethische und juristische Rahmenbedingungen, die besondere Beachtung finden müssen. In diesem Zuge war es wichtig, die gesamten Exponate einer genauen Prüfung zu unterziehen. Dabei geht es zum Beispiel darum, festzustellen in welchem Zustand die Exponate sind, woher sie kommen und wie alt sie sind. Und vor allem haben wir geprüft, ob sie aus einem Unrechtskontext kommen, denn dann können und möchten wir sie nicht in der Ausstellung zeigen.

    2 | Welche Rolle spielte dabei das koloniale Erbe Thüringens?

    Das Thema Kolonialismus ist erst bei der Überprüfung des Sammlungsbestandes für die Neukonzeption der Ausstellung aufgetaucht. Soweit ich weiß, war das zuvor auch noch kein Thema hier im Haus. Es hat aber an der Uni hier schon zuvor ein Forschungsprojekt gegeben und es sind auch bereits Rückgaben von Human Remains aus der Zoologischen Sammlung erfolgt, im Jahr 2018 zum Beispiel. Daher waren wir in besonderer Weise sensibilisiert und konnten schon auf Vorarbeiten zurückgreifen. Etwa als wir im Inventarbuch auf Schlagworte wie „Herero“ gestoßen sind. Und da es sich bei uns im Institut ja um Human remains handelt, war schnell klar:  Das ist hier ein hoch sensibler Bereich. Ich habe mir einen Überblick über das koloniale Erbe in der Anatomischen Sammlung verschafft, soweit das erst einmal möglich war. Und dann haben wir in einem vom DZK [Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste, Redaktion] geförderten Projekt begonnen, die Verdachtsfälle aus ehemaligen deutschen Kolonien aufzuarbeiten.

    3 | Was war dabei die größte Herausforderung für Sie?

    Es gibt historische Sammlungskataloge vom Anfang und dann welche von der Mitte des 19. Jahrhunderts, die zum Teil recht ausführlich sind. Und dann wurde die gesamte Anatomische Sammlung und damit auch die Human remains Mitte der 1990er Jahre noch einmal komplett neu inventarisiert. In jedem Verzeichnis haben dieselben Objekte also ganz andere Nummern, die Verzeichnisse beziehen sich kaum auf einander. Das hatte damals auch ganz simple Gründe, etwa fehlende Handschriftenkenntnisse. Für unsere Provenienzforschung hatte das zur Folge, dass wir zunächst lediglich eine Liste mit Bezeichnungen hatten. Aber Informationen zur Herkunft und zum Alter und Sammlungseingang der Human remains fehlten. Die größte Herausforderung war also, die Einträge in den Verzeichnissen einander zuzuordnen, was sehr aufwändig ist und häufig nicht sicher genug klappt. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns.

    4 | Gab es auch etwas, das Sie überrascht hat?

    Ich habe zuvor noch nie mit Human remains gearbeitet. Und als ich meine Stelle hier antrat, war ich in gewisser Weise überrascht, wie sachlich-distanziert der Umgang mit Human remains hier am Institut ist. Und nach drei Wochen war ich dann wiederum überrascht, wie schnell man da rein gerät und auch ich mich an die Arbeitsweise und den Umgang mit den Beständen gewöhnt hatte. Und diese Distanz ist natürlich auch nötig für den professionellen Umgang. Ich überspitze das mal: Ganz schnell rückt es emotional in den Hintergrund, ob man da eine Vase oder einen Fötus vor sich hat, beides wird in der alltäglichen Arbeit zu einem Museumsstück. Und das liegt natürlich auch in der Logik einer solche Sammlung begründet, die ihren Untersuchungsstand in gewisser Weise enthumanisiert. Und das ist meines Erachtens auch die größte ethische Herausforderung bei der Arbeit in einem Anatomischen Institut oder auch in anderen medizinischen Einrichtungen: Das Bewusstsein dafür erhalten, sich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass man es mit menschlichen Überresten zu tun hat. Denn aus musealer Perspektive geht man mit Human remains nicht unbedingt grundlegend anders um als mit anderen Objekten oder Archivmaterial. Da geht es zum Beispiel um konservatorische Aspekte, wie Sauberkeit, klimatische Lagerbedingungen oder Platz im Depot. Aber gleichzeitig hat es ein Umdenken gegeben. So war es früher beispielsweise üblich, dass beschädigte Skelette einfach mit anderen Knochen aus dem Bestand ergänzt wurden. Heute gilt selbstverständlich, dass nur Überreste von einem Individuum auch zusammengehören. Aber bei sehr alten, historischen Präparaten lässt ich oft gar nicht mehr nachvollziehen, ob sie zu einem Individuum gehören. Das wäre nur durch genetische Untersuchungen möglich. Und da stellt sich auch die Frage, ob das zu leisten ist.

    Aber grundsätzlich würde ich es begrüßen, wenn wir auch pietätsvolle Formen der „Aufbewahrung“ – schon der Begriff spiegelt das Dilemma – finden würden. Vielleicht müsste darüber mal ganz frei nachgedacht werden, jenseits der bekannten Wege und der pragmatischen Bedenken.

    5 | Welche Themen und Forschungsfragen beschäftigen Sie derzeit?

    Gerade schließen wir unser Forschungsprojekt zu 13 Individuen aus kolonialen Kontexten ab und verfassen dazu den Bericht. Zu einigen haben wir viel herausgefunden und wir werden der Universität zum Teil auch Rückführungen empfehlen. Natürlich gibt es hinsichtlich dem kolonialen Erbe noch viel zu tun. Das gilt eigentlich für alle Human remains, das ist vielleicht nochmal wichtig zu betonen. Denn alle – auch der Nachbar aus der Vergangenheit – haben ein Recht darauf nicht vergessen zu werden. Allerdings werden wir nicht alle Personen hinter den Human remains in unserer Sammlung identifizieren können, denn die Möglichkeiten der Provenienzforschung sind begrenzt.

    Jenseits der Forschung treibt mich aber auch die Frage um: Wie trägt man das Thema stärker in die Öffentlichkeit? Denn unsere Arbeit soll ja nicht nur in einen Projektbericht münden. Ich würde mir wünschen, dass unsere Forschung auch in der Gesellschaft ankommt. Aber die Ausstellung ist dazu schon ein toller erster Schritt. Für die Zukunft möchte ich auch gerne gemeinsame Forschungsprojekte mit Studierenden anregen, um das Thema stärker in der Ausbildung zu verankern.

    Dr. Ulrike Lötzsch

    Anatomische Sammlung, FSU Jena

    Foto: Jens Meyer, FSU