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Dr. ENRICo PAUST

Kustos der Sammlung UFG
und Projekt Collegium Jenense

1 | An welchem Projekt arbeiten Sie gerade und welche Rolle spielt dabei das „koloniale Erbe Thüringens“?

Als Kustos der Sammlung Ur- und Frühgeschichte bin ich aktuell mit der Inventarisierung und Neuaufstellung der Sammlung beschäftigt. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet dabei die Wiedereingliederung der Osteologischen Sammlung, die lange Zeit an das Institut für Anthropologie ausgeliehen war und nach Auflösung der Anthropologie an der Universität wieder zurück in die Bestände der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie kommt. Dabei spielt natürlich auch die Provenienzrecherche bei allen Stücken, die nicht aus gesicherten Ausgrabungszusammenhängen stammen, eine große Rolle, wobei auch menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten zum Vorschein kamen und entsprechend aufgearbeitet werden sollen. In diesem Zusammenhang habe ich im letzten Jahr gemeinsam mit den Kollegen aus dem Universitätsarchiv und der Biologiedidaktik bereits ein kleines Projekt zu Schädel der Massai und aus Papua von Ernst Haeckel und aus den Beständen der Osteologischen Sammlung durchgeführt. Am Ende des Projektes standen neben einer Publikation der Ergebnisse vor allem die Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Koloniales Erbe und rassismuskritische Bildungsarbeit“, die es sich zur Aufgabe macht, einen Forschungsantrag zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes an der Universität Jena mit besonderen Augenmerk auf der Osteologischen Sammlung und dem früheren Ethnographischen Museum zu erarbeiten.

2 | Wann sind Sie mit (post-)kolonialen Fragestellungen erstmals in Kontakt gekommen und warum haben Sie sich entschieden, dazu weiterzuarbeiten?

Im dienstlichen Zusammenhang bin ich zum ersten Mal 2018 direkt in Kontakt mit kolonialen Fragestellungen gekommen, als die ersten Bestandteile der Osteologischen Sammlung zurück an die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie gingen. In diesem Zusammenhang wurden die erhaltenen Inventarbücher der Sammlung überprüft, wobei sehr schnell eindeutige Hinweise auf Objekte mit kolonialen Kontexten zu Tage traten. Da diese teilweise direkt über die Beschriftungen eine Herkunft aus Unrechtskontexten andeuteten, war es ein großes Anliegen die gesamten Bestände in dieser Hinsicht zu überprüfen, um früheres Unrecht soweit dies überhaupt möglich ist zu korrigieren und für die Zukunft auch eine saubere Sammlung für Forschung und Lehre zur Verfügung zu haben.

3 | Warum ist die Provenienzforschung ein wichtiges Thema in Thüringen und wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?

Den größten Handlungsbedarf in dieser Hinsicht sehe ich aktuell direkt in den Sammlungen. So sind sehr viele Sammlungen nicht vollständig erschlossen und inventarisiert, von regelhaften Provenienzrecherchen ganz zu schweigen. Somit sollte es ein wichtiges Anliegen sein dies zu ändern und eine Klarheit über die Bestände aller Sammlung in Thüringen und deren Zusammensetzung zu erhalten. Dies ist allerdings ein schwieriger Schritt, da es nicht nur die universitären Sammlungen betrifft, sondern vor allem die vielen kleineren Museen und Sammlungen, die über den ganzen Freistaat verteilt sind. Während die universitären Einrichtungenleichten die Möglichkeit haben mit ihren Sammlungen zu arbeiten und diese zu erschließen, ist dies den übrigen Einrichtungen aufgrund von oftmals sehr eingeschränkten Personalsituationen häufig nicht möglich diese Arbeiten zu leisten. Und dies zu ändern ist aus meiner Sicht in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Aufgaben, da nur dadurch eine wirkliche Erfassung der Sammlungen sowie anschließende Provenienzrecherchen möglich sind.

Im Hinblick auf die Frage, warum die Provenienzforschung für Thüringen ein wichtiges Thema ist, muss ich sagen, dass sie eigentliche für alle Bundesländer von gleicher Bedeutung ist. Und gerade innerhalb Thüringens spielt sie eine große Rolle, da es aufgrund der historischen Kleinstaaterei eine Vielzahl von Sammlungen und Museen gibt, deren Bestände erfasst werden müssen. Außerdem gab es gerade im Hinblick auf Bestände aus kolonialen Kontexten natürlich eine große Menge an Persönlichkeiten, die hier eine größere Rolle gespielt haben, wie beispielsweise Haeckel, aber vor allem auch Leonhard Schultze-Jena oder Hans F. K. Günther. Und gerade ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit den einzelnen Museen und Sammlungen verdienen eine umfangreichere Erforschung.

4 | Können Sie uns an einem Beispiel erläutern, in welchen Schritten die Provenienz eines Objektes geklärt wird?

In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Beispiel aus dem zuletzt abgeschlossenen Projekt zu von Ernst Haeckel eingekauften Schädeln verweisen. Der Anstoß zu diesem Projekt erfolgte über eine Rechnung des Naturalienhandels Umlauff in Hamburg an Haeckel, die sich in den Beständen des Ernst-Haeckel-Hauses erhalten hat. Darauf ist der Einkauf von zwei Schädeln, einem aus Papua sowie einen Schädel der Massai belegt. Die ersten Schritte die anschließend erfolgten war die Identifizierung der Schädel innerhalb der Sammlung, was bislang nur für den Schädel aus Papua gelungen ist. Daran anschließend erfolgte die anthropologische Untersuchung des Schädels sowie aller schriftlichen Hinweise auf dem Schädel sowie in den Inventarbücher und Beständen der Sammlungen im Hinblick auf Hinweise zur Herkunft. Diese wurden durch weitere Recherchen innerhalb des Universitätsarchives ergänzt, in dem sich diverse Unterlagen zu den einzelnen Sammlungen, aber auch zur Finanzierung von Einkäufen, etc. befinden. Da es bei den Schädel ganz konkret den Hinweis auf die Naturalienhandlung Umlauff gab, wurden auch die Reste des Firmenarchivs im Hamburg untersucht, wo sich auch Hinweise auf beide Schädel und ihren Verkauf nach Jena ergaben. Hinweise wie beide Schädel in die Bestände der Firma Umlauff gelangten, fanden sich leider nicht. Somit standen am Ende der Recherche, die hier nur ganz grob beschrieben werden kann, zwar die Identifizierung des Schädels innerhalb der Sammlungsbestände sowie der gesicherte Nachweis des Eingangs über die Naturalienhandlung Umlauff, einen abschließenden Nachweis der direkten Herkunft und des Weges bis zu Umlauff konnten allerdings nicht gefunden werden, hier sind unseren Bemühungen zur Feststellung der Provenienz leider an Grenzen gestoßen.

5 | Was macht den Standort Thüringen für Sie zu einem spannenden Forschungskontext in Bezug auf das „koloniale Erbe“?

Hier möchte ich nochmal auf das Verweisen, was ich bei der dritten Frage gesagt habe. Thüringen besitzt durch seine Vielzahl an Museen und Sammlungen eine sehr breite Materialbasis für Forschungen. Diese ergänzt durch Untersuchungen zu dem Wirken von wichtigen Forschern in Thüringen, wie Haeckel, Schultze-Jena und Günther, um nur drei zu nennen, sowie die Einordnung ihrer Arbeit in den zeitgenössischen Kontext bildet ein sehr spannendes Tätigkeitsfeld, welches aus meiner Sicht sehr viel Potential birgt.




Dr. ENRICO PAUST

Kustos der Sammlung UFG
und Projekt Collegium Jenense

Foto: Katja Dörn (OTZ)

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